Kavaliersdelikt Smartphone-Nutzung am Steuer?
Köln – Rund zwei Drittel (64 Prozent) aller Autofahrer nutzen ihr Smartphone bzw. Mobiltelefon zumindest hin und wieder am Steuer.
Noch mehr (71 Prozent) sehen häufig oder sogar sehr häufig andere Verkehrsteilnehmer, die dies tun. Diese Zahlen sprechen für eine Normalität risikoreichen Verkehrsverhaltens, das von der Mehrheit der Autofahrer selbstkritisch zugegeben wird: 20 Prozent fühlen sich bei der eigenen Smartphone-Nutzung „sehr stark“, 40 Prozent „stark“ abgelenkt.
Dies besagt eine gerade erschienene, repräsentative Umfrage des Meinungsforschungsinstituts forsa im Auftrag des ACV Automobil-Club Verkehr und der Deutschen Verkehrswacht (DVW).
Die Umfrage beschäftigte sich insbesondere damit, wer das Smartphone/Mobiltelefon benutzt und in welchen Verkehrssituationen. Gefragt wurde ferner nach Situationen, in denen das Mobiltelefon auf keinen Fall genutzt würde. Auch interessierte die Auftraggeber, ob sich die Nutzer von ihrer eigentlichen Tätigkeit – dem Autofahren – abgelenkt fühlten und aufgrund der Nutzung kritische Verkehrssituationen entstanden sind und/oder Fahrfehler begangen wurden.
Jüngere vs. ältere Autofahrer
Die jungen Autofahrer bis 24 Jahre, die von allen Verkehrsunfallstatistiken als Hochrisikogruppe ausgewiesen werden, gehören zu den fleißigsten Nutzern des Mobiltelefons während des Autofahrens. Sie befinden sich dabei laut der forsa-Umfrage in Gesellschaft mit den jüngeren Autofahrern bis unter 45 Jahren. Bis zu diesem Alter nutzen 81 Prozent das Smartphone zumindest hin und wieder während der Autofahrt – zum Beispiel: zur Navigation, zum Nachsehen und Lesen, ob jemand angerufen oder eine SMS respektive Whatsapp geschrieben hat, zur Annahme von Anrufen (ohne Freisprecheinrichtung). Darüber hinaus wird das Telefon aber auch „pro-aktiv“ genutzt, um beispielsweise selbst Anrufe zu tätigen (ohne Freisprecheinrichtung) oder eine SMS oder Whatsapp zu tippen. Die bis 29-Jährigen nutzen es auch sehr gern zur Musikauswahl (31 Prozent).
Erst Autofahrern ab 60 Jahren scheint das Mobiltelefon am Steuer entbehrlich zu sein. Hier sind es nur noch 38 Prozent, die angeben, es während des Autofahrens zumindest hin und wieder zu nutzen, dabei meist (19 Prozent) zur Navigation oder um nachzusehen, ob jemand geschrieben oder angerufen hat (15 Prozent). Auf eine pro-aktive Nutzung verzichten die meisten Autofahrenden Senioren.
Lars Wagener, Vorsitzender der Geschäftsleitung des ACV: „Obwohl vor Ablenkung am Steuer zunehmend öffentlichkeitswirksam gewarnt wird, unterschätzen Autofahrer nach wie vor die damit verbundene Gefahr. Es besteht kein Bewusstsein darüber, dass ein Blick aufs Handy ein Blindflug ist, der Leben kosten kann.“
Nutzung in verschiedenen Verkehrssituationen
Von den Autofahrern, die zumindest hin und wieder das Smartphone/Mobiltelefon am Steuer nutzen, gebrauchen es 62 Prozent im Stau oder zäh fließenden Verkehr und 56 Prozent beim Warten an der roten Ampel.
Allerdings nutzen auch 17 Prozent das Telefon bei Fahrten auf der Autobahn, 14 Prozent bei Fahrten auf der Landstraße und 12 Prozent im Stadtverkehr.
Prof. Kurt Bodewig, Präsident der DVW und Bundesminister a.D.: „Die Straße muss sicherer werden, da passt der Egoismus von Autofahrern nicht, die bei hoher Geschwindigkeit mit dem Handy in der Hand über die Autobahn auf das Stauende zurasen. Was als Kavaliersdelikt daherkommt – nämlich sich und andere Verkehrsteilnehmer in Gefahr zu bringen – ist für uns nicht hinnehmbar. Auch auf kurvenreichen Landstraßen und im komplexen Innerortsverkehr gehört die ganze Aufmerksamkeit auf die Straße.“
„No-Gos“ für Smartphone-Nutzung?
Auf die Frage, ob es Situationen gibt, in denen die Autofahrer auf Mobiltelefon-Nutzung am Steuer verzichten würden, gaben 89 Prozent an, ihr Smartphone auf keinen Fall bei schlechten Witterungsverhältnissen wie Schnee oder Starkregen zu nutzen, je 85 Prozent verzichten darauf an großen Kreuzungen oder im dichten Straßenverkehr, 80 Prozent vermeiden es, wenn ein Kind im Auto sitzt und 79 Prozent beim Vorbeifahren an sozialen Einrichtungen wie Kindergärten, Schulen, Seniorenheimen oder Krankenhäusern.
Erschreckend ist, dass der Gebrauch nicht konsequent ausgeschlossen wird, wobei die Risikobereitschaft bei den Autofahrern unter 45 Jahren zudem mitunter größer ist als bei den Befragten ab 45 Jahren: Die Nutzung ihres Mobiltelefons würden beispielsweise im dichten Straßenverkehr 18 Prozent der bis 45-Jährigen und 9 Prozent der über 45-Jährigen nicht ausschließen, mit einem Kind im Auto liegen die Jüngeren bei 19 Prozent (über 45 Jahre: 12 Prozent), beim Vorbeifahren an sozialen Einrichtungen 24 Prozent (über 45 Jahre: 13 Prozent), bei Dunkelheit 29 Prozent (über 45 Jahre: 21 Prozent), mit anderen Personen im Auto bei 35 Prozent (ab 45 Jahren: 26 Prozent), auf der Autobahn 34 Prozent (ab 45 Jahren: 31 Prozent) und auf der Landstraße 42 Prozent (ab 45 Jahren: 41 Prozent).
Wagener: „Gerade dieser Teil der Studie belegt sehr deutlich, dass wir mehr aufklären müssen. Nicht nur die „Digital Natives“ sind es, sondern bis zu einem Alter von 45 Jahre geht die Risikogruppe, die es zu sensibilisieren gilt. Niemand muss 24 Stunden am Tag verfügbar sein, um zu leben – im Straßenverkehr darauf zu verzichten, kann Leben retten. Nicht nur das eigene.“
Ablenkung und Gefährdung
Wenn sie beim Autofahren ihr Smartphone oder Mobiltelefon benutzen, fühlen sich 20 Prozent der Befragten sehr stark und weitere 40 Prozent stark abgelenkt. Diejenigen, die sich nicht so stark oder gar nicht abgelenkt fühlen, nutzen ihr Telefon während der Fahrt vielfältiger als diejenigen, die dies als (starke) Beeinträchtigung erleben.
Trotz des individuellen Gefühls des Abgelenktseins geben nur 11 Prozent an, durch die Nutzung schon einmal einen Fahrfehler begangen zu haben; gerade 5 Prozent sind nach den Angaben in eine kritische Situation geraten.
Bei der Nachfrage nach verschiedenen Verkehrssituationen zeigt sich allerdings ein etwas anderes Bild: So haben 25 Prozent schon einmal wegen der Mobiltelefonnutzung am teuer zu spät gesehen, dass die Ampel wieder grün ist, 12 Prozent sind schon einmal von der Fahrspur abgekommen und jeweils 10 Prozent haben spät oder zu spät bemerkt, dass das Auto vor ihnen gebremst hat, oder haben eine Geschwindigkeitsbegrenzung übersehen. Über 60 Jahre alte Autofahrer geben seltener als die jüngeren an, dass sie schon einmal eine dieser Erfahrungen gemacht haben.
Bodewig: „Weil wir keinem wünschen, dass er erst ‚durch Schaden klug‘ wird, werden wir in unserer Arbeit vor Ort noch mehr über die Gefahren aufklären, die aus Ablenkungen entstehen. Damit die Einsicht vor einem Unfall oder einer kritischen Verkehrssituation einsetzt!“
Angesichts der Umfrage-Ergebnisse zeigt sich, wie notwendig der jüngste Vorstoß von Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt war, das Handyverbot am Steuer auf Tablets und Fotoapparate auszuweiten. Um der Gefahr energischer entgegenzuwirken, würden sowohl ACV als auch DVW zudem weitere Schritte begrüßen, beispielsweise konsequente Kontrollen und eine noch breitere Aufklärungskampagne, besonders für die jüngere Zielgruppe der Autofahrer und Mobiltelefonnutzer.
Quelle: ots