Digitalisierung: Lkw-Hersteller unter Druck
München – Die etablierten Lkw-Hersteller geraten im Zuge der Digitalisierung immer stärker unter Wettbewerbsdruck. Disruptive Anbieter wie Google oder Tesla, aber auch agile Start-ups wie Otto oder Peloton arbeiten an Lösungen rund um den vernetzten, autonomen Lkw, greifen die Hersteller auf deren ureigenem Terrain an und versuchen, sich im Kampf um Marktanteile zu positionieren. Damit stehen mächtige Lkw-Bauer wie Mercedes-Benz, MAN, Scania, Volvo oder DAF vor der wohl größten Herausforderung ihrer Unternehmensgeschichte. Auch die Welt der Spediteure ändert sich. Darauf weist die internationale Managementberatung Oliver Wyman im Vorfeld der wichtigsten Branchenmesse „IAA 2016“ (22.9.- 29.9./Hannover) hin.
Vernetzte, autonom fahrende Lkw werden die Transportlandschaft der Zukunft prägen. „Alle Hersteller arbeiten bereits an neuen Lösungen, um dem Handlungsdruck durch Digitalisierung und neue Wettbewerber zu begegnen“, sagt Romed Kelp, Experte bei Oliver Wyman für die Nutzfahrzeug-Industrie. „Alle haben Prototypen auf der Straße und investieren hohe dreistellige Millionenbeträge in digitale Technologien.“ Bei ersten markenübergreifenden Platooning-Demonstrationsfahrten bewegen sich Fahrzeuge der großen europäischen Hersteller bereits in elektronischen Konvois. Im US-Bundesstaat Nevada rollen zudem erste vollautonome Testfahrzeuge über den Asphalt.
Bessere Auslastung, weniger Emotion
Die Entwicklung hin zu vollvernetzten, autonomen Fahrzeugen birgt für die Lkw-Hersteller zwei elementare Herausforderungen:
Oliver Wyman-Schätzungen zufolge sind Lkw in Deutschland im Schnitt nur zu 50 bis 60 Prozent ausgelastet. Das wird sich durch die fortschreitende Vernetzung der Fahrzeuge ändern. Elektronische Frachtbörsen ermöglichen eine bessere Ausnutzung der Kapazität, durch die Vernetzung mit beispielsweise Verladeterminals können Wartezeiten reduziert werden. Die Folge: Trotz steigenden Frachtvolumens steigt die Anzahl der erforderlichen Fahrzeuge nur unterproportional. Verstärkt wird der Effekt, wenn jenseits des Jahres 2030 zumindest auf Langstrecken kein Fahrer mehr am Steuer eines Lkw sitzen wird. Lenkzeitbegrenzungen werden obsolet, Lkw könnten rund um die Uhr im Einsatz sein.
Wo kein Fahrer ist, da sind auch keine menschlichen Anforderungen an den Truck. Für die Hersteller bedeutet das: Der Lkw ist weniger emotional besetzt, Features wie Kabinenausstattung und Fahrverhalten sind für die Differenzierung im Wettbewerb nicht mehr relevant. Der Lkw wird eine reine „Hardware-Commodity“, deren Wert nur noch über Total Cost of Owership (TCO) und Verfügbarkeit gemessen wird.
Lösungsanbieter oder Hardware-Spezialist?
Um sich für die anstehenden Veränderungen zu rüsten, müssen Hersteller sich entscheiden, welche Rolle sie im Logistik-Markt zukünftig spielen wollen: Lösungsanbieter oder „Hardware-Zulieferer“.
Lösungsanbieter differenzieren sich durch weitergehende, integrierte Dienstleistungen. Hersteller, die diesen Weg einschlagen wollen, müssen neue Geschäftsmodelle erarbeiten und ihre Kompetenzen erweitern beziehungsweise neu aufbauen. Dazu ist es elementar zu definieren, wo sie ihren Kunden in der Logistik-Wertschöpfungskette durch innovative Lösungen einen Mehrwert bieten, ohne in direkten Wettbewerb mit ihnen zu treten. Zudem gilt es, digitale Fähigkeiten aufzubauen und die Organisation auf Geschwindigkeit zu trimmen. Kelp: „Gerade die digitalen Wettbewerber agieren viel schneller als ein klassischer Hersteller. Die Hersteller müssen Gas geben und ihre Organisation auf schnellere Veränderungszyklen ausrichten – und sie fit machen für Kooperationen und Partnerschaften.“
Als reine Hardware-Zulieferer liefern Hersteller den Lkw in eine integrierte Lösung eines Drittanbieters. Entscheiden Hersteller sich für diese Positionierung, bewegen sie sich auf einem extrem wettbewerbsintensiven Terrain mit enormem Kostendruck. Durch die zunehmende Kommoditisierung des Fahrzeugs werden TCO und Verfügbarkeit die entscheidenden Differenzierungsmerkmale. Um die TCO zu verbessern, müssen Hersteller fokussiert in die Senkung der Fahrzeug-Betriebskosten investieren. Zudem wird operative Exzellenz beim Hersteller selbst noch bedeutender als heute – gerade für Unternehmen, die die Rolle des Hardware-Spezialisten anstreben.
Die Spediteure profitieren
Doch nicht nur die Lkw-Hersteller müssen sich mit autonomen und vernetzten Lkw auseinandersetzen, sondern auch ihre Kunden, die Spediteure. Durch autonome Lkw wird der Straßentransport kosteneffizienter und damit wettbewerbsfähiger. Teilautonome Trucks mit Assistenzsystemen können dazu beitragen, den Fahrermangel zu bewerkstelligen und die Zeit der Fahrer effizient zu nutzen. Ältere Fahrer können länger eingesetzt werden, unterwegs können Kraftfahrer beispielsweise administrative Aufgaben erledigen.
Laut Joris D’Incà, Logistik-Experte bei Oliver Wyman, wird allerdings erst das vollautonome Fahren einen echten Quantensprung für Spediteure bedeuten. D’Incà: „Neben Kosteneinsparungen durch bessere Auslastung birgt das vollautonome Fahren weitere Vorteile: Es gibt weniger Unfälle und die Kapazität der Autobahnen wird gesteigert, da Lkw mit geringerem Abstand fahren können.“
Fakt ist: Hersteller wie Spediteure müssen sich rüsten, wenn sie ihrer Konkurrenz davonfahren wollen. Kelp: „Der Blick auf die etablierten Lkw-Hersteller und auf die Speditionsbranche macht einmal mehr deutlich, wie massiv die Digitalisierung selbst über Jahrzehnte gelebte und ja auch erfolgreiche Geschäftsmodelle verändern wird.“
Quelle: ots