Im Management ist es mit der Kenntnis darüber, wie es um die Bedarfe in den einzelnen Abteilungen steht, oftmals nicht weit her – das gilt auch für die IT. Mit „Ich will mal wieder in den Maschinenraum“ hat schon René Obermann, ehemaliger Vorstandsvorsitzender der Deutschen Telekom, den Umstand auf den Punkt gebracht, dass viele Manager eher mit einem Helikopterblick auf ihr Unternehmen und die Mitarbeiter schauen, der einen Überblick über die tatsächlichen Bedürfnisse gar nicht erst erlaubt. Der sprichwörtliche Laden kann aber nur dann wirklich rund laufen, wenn alle Beteiligten wissen, was die jeweils andere Seite braucht und erwartet.
Wer kennt es nicht? Das Bild des Managers, der unantastbar in seinem Elfenbeinturm sitzt und von oben herab Entscheidungen für die Basis trifft, die diese dann widerstandslos zu befolgen hat. Diese auf strengen Hierarchien fußende Unternehmensführung war jahrzehntelang gern gelebter Usus, hat aber mit modernem Management überhaupt nichts zu tun. Gute Führungskräfte haben längst erkannt, dass es sich lohnt, von Zeit zu Zeit einzutauchen in das Geschehen an der Basis, um wirklich beurteilen zu können, an welchen Stellen es rund läuft und wo es hakt. „Die Idee ist ja ganz nett, aber dafür habe ich nun wirklich keine Zeit!“, mag jetzt das erste Argument sein, das vielen Führungskräften in den Kopf schießt. Die viel wichtigere Frage aber ist doch: Wieviel Zeit brauche ich, um Dinge wirklich zu verstehen? Und was kostet es mich im Endeffekt, wenn ich einfach ungesehen alles glaube, was die Leute mir sagen? Handelt es sich nicht vielmehr um gut investierte Zeit, die es einem ermöglicht, die Dinge besser zu beurteilen, um schlussendlich etwaige Schwierigkeiten auszumachen und insgesamt bessere Entscheidungen treffen zu können? Der Austausch mit den Menschen an der Basis eröffnet nicht nur immer wieder auch neue Perspektiven, er öffnet vielen Managern auch häufig erst die Augen dafür, was die tatsächlichen Herausforderungen für die Mitarbeiter sind und mitunter auch dafür, dass ursprünglich anvisierte Lösungen vielleicht gar nicht wirklich zum Problem passen. Nicht zu unterschätzen ist zudem der Effekt des Besuchs an der Basis auf die Mitarbeiter, die sich wahr- und ernstgenommen fühlen und das in der Regel auch an ihre Kollegen kommunizieren, was wiederum die Motivation stärkt. Wichtig dabei ist das konstruktive Feedback des Managements: Die Angestellten müssen sehen, dass sich tatsächlich etwas ändert. Dies alles gilt nicht nur für die Mitarbeiter im eigenen Unternehmen, sondern auch für den Umgang mit Kunden und Partnern.
Nur derjenige, der selbst im Austausch mit den Auftraggebern und Geschäftspartnern steht, kann Bedarfe treffsicher beurteilen. Zeit, die mit Kunden, Mitarbeitern oder Partnern verbracht wird, ist daher immer gut investiert. Selbst CIOs gehen immer mehr dazu über, die Kunden ihrer Company durch den persönlichen Austausch besser beziehungsweise überhaupt erst einmal kennenzulernen und zu verstehen. Das wirkt häufig für beide Seiten positiv: Der Kunde etwa fühlt sich wertgeschätzt und ernst genommen, während die Einsichten über die Verwendung der Produkte beim Kunden dem CIO den Mehrwert anzeigen, den er dazu beisteuert beziehungsweise mitunter noch viel intensiver dazu beisteuern könnte. Firmenübergreifende Projekte gemeinsam mit Kunden und Partnern bergen häufig ungeahntes Potential, und selbst intern gut aufgestellte Unternehmen können hier teilweise noch erhebliche Optimierungen erzielen. Auch hier ist es sehr wichtig, nicht nur „mal beim Kunden vorbeizuschauen“ und dann wieder im Elfenbeinturm zu verschwinden, sondern einen regelmäßigen Austausch anzustreben und möglichst gemeinsame Projekte mit Win-Win-Ergebnissen umzusetzen – es kann fast kein besseres Kundenbindungsprogramm geben. Wer also wirklich verstehen will, wie etwa bei Offshore-Partnern in Indien gearbeitet wird, der muss sich ein Bild vor Ort machen und sich persönlich in die entsprechenden Büros setzen – und zwar nicht nur, wie normalerweise bei solchen Trips üblich, in irgendein Besprechungszimmer, von wo aus man durch den Betrieb geführt wird, sondern direkt mitten aus dem Geschehen heraus. Dies ist sicherlich für beide Seiten erstmal ein Schock; der Erkenntnisgewinn aber ist unbezahlbar.
Über den Autor
Seit rund einem Vierteljahrhundert ist Mathias Hess in der digitalen Welt unterwegs – in nationalen mittelständischen Unternehmen und in internationalen Großkonzernen, als CIO und IT-Leiter sowie in verantwortlichen Management-Positionen bei IT-Service-Providern. Er kennt alles, was das moderne IT-Umfeld beim Thema Digitalisierung als Chancen, aber auch an Risiken zu bieten hat. Er verfügt über umfangreiche Erfahrungen im Projektmanagement, sowohl mit der Einführung neuer Anwendungen und Prozesse (ITIL) als auch in der Umsetzung von Outsourcing-Projekten und komplexen Offshore-Leistungen.
Weitere Informationen unter www.mathias-hess.com.