Digitale Wirtschaft

Cloud-Software: Brutales Vorgehen der Hersteller trifft auf abgebaute Kompetenzen und Frust

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Ein kürzlich erschienener Artikel im Handelsblatt fördert das teils extreme Vorgehen mancher großer Cloud-Software-Anbieter zutage und wirft gleichzeitig Zweifel auf, ob Unternehmen ihre IT-Entscheidungen überhaupt noch kompetent und selbstbestimmt treffen können. Diese Zweifel werden bereits durch die von der renommierten Strategieberatung Gartner vor einiger Zeit aufgezeigten fehlenden IT-Kompetenzen der Entscheider und frustrierenden Beschaffungsprozessen im Cloud-Kontext genährt. Nicht selten wird mit dem Trend-Wort „Cloud“ unpräzise umgegangen und nicht einmal geklärt, welche konkreten Leistungen vereinbart werden.

Jahrzehnte des Abbaus von Kompetenzen und aufgestaute Frustration

Die Beantwortung der Frage, wie Unternehmen in diese Situation gekommen sind, bedarf einer historischen Betrachtung. Dabei sind mindestens zwei Aspekte ausschlaggebend gewesen: Zum einen der Abbau eigener Kompetenzen, Lösungen und Ressourcen, zum anderen gleichlaufend der grenzenlose und ungebremste Aufbau von Abhängigkeiten zu einigen wenigen US-Softwareriesen.

Dieser Trend wurde dann sogar häufig als Ausdruck von Effizienz und fortschreitender Digitalisierung (miss-) verstanden und selten hinterfragt. Dabei zeigt sich dieser Tage auch in anderen Bereichen wie Energie- und Infrastrukturthemen, dass einseitige Abhängigkeiten fatale Auswirkungen haben.

Während Organisationen früher noch IT-Infrastruktur und Anwendungssoftware getrennt unterhielten – wobei diese ihre Infrastruktur überwiegend selbst betrieben und Software einmalig kauften – werben Anbieter schon lange für noch intensivere Formen der Verflechtung. Damit geboren waren Abonnement-Lizenzen gepaart mit mehr oder weniger bestimmten Cloud-Leistungen, verpackt in den verschiedensten undurchsichtigen Paketen.

Allzu häufig folgten Unternehmen den Werbeaussagen und Vertriebsstrategien der Hersteller über Jahre hinweg nahezu blind – sei es aus Bequemlichkeit, mangelnden Kompetenzen oder intransparenten Bedingungen.

Infolgedessen lagerten Nutzer selbst unternehmenskritische Daten, IT-Infrastruktur und Prozesse in die Obhut derselben Anbieter aus und bauten im Gegenzug bewährte kaufmännische und IT-bezogene Kompetenzen ab. Umgekehrt wurden keine oder nur wenige neue Cloud-Kompetenzen aufgebaut. Das ist auch kaum möglich gewesen. Denn „Cloud“ selbst ist gar nicht einhellig bestimmt. So schnürte jeder Anbieter eigene Ausgestaltungen, die oftmals allenfalls unbestimmt und unverbindlich definiert waren und sich dadurch typischen Unternehmensstandards wie Messbarkeit und Berechenbarkeit entziehen.

Selbst rechtliche Grundfragen wurden zunehmend ignoriert und damit etwa auf Stärken des deutschen AGB-Rechts verzichtet. Anders lässt sich nicht erklären, dass überwiegend auf die zugrunde liegenden Vereinbarungen kein deutsches Recht mehr Anwendung findet. Ob sich das mit Compliance-Vorgaben und sonstigen Anforderungen der Rechtsabteilung deckt, erscheint mindestens zweifelhaft.

Frustrationen in Unternehmen

Die Folge dieser historischen Entwicklung ist ein hohes Maß an Frustration in Unternehmen. Entsprechend berichtete erst kürzlich die renommierte Strategieberatung Gartner über erfolglose IT-Beschaffungsprozesse. Mehr als die Hälfte der von Gartner 2021 befragten 1.120 Unternehmen aus Nordamerika, Westeuropa und dem Asien-Pazifik-Raum seien mit ihren Käufen unzufrieden. Der Umfrage zufolge sind 67 Prozent der an den Entscheidungen über den Kauf von Technologien beteiligten Personen gar nicht in der IT-Abteilung tätig. Das bedeutet, dass heute fast jeder für sein Unternehmen ein Technologie-Einkäufer sein kann. In diesem Umfeld entsteht eine neue Kluft bei der Technologie-Einführung.

Die Versäumnisse auf Kundenseite haben dazu geführt, dass die negativen Effekte von Abo- und Cloud-Modellen wie einseitige Preiserhöhungen, Verlust der Datenhoheit und „Lock-in“ lange Zeit verdrängt wurden. Erst jetzt ist der Aufschrei groß, nachdem Microsoft Preiserhöhungen von bis zu 25 Prozent in diesem Jahr umgesetzt hat. Verteuernd hinzu kommt regelmäßig der Wegfall initialer Rabatte. Kostenkalkulationen laufen bei Kunden somit oft vollends aus dem Ruder. Diverse weitere Anbieter wie zum Beispiel SAP haben kürzlich mit Preiserhöhungen nachgezogen. Entsprechend beäugen Kunden die Preisentwicklung der Cloud-Infrastrukturanbieter AWS und Google zunehmend kritisch. Das treibt die Unzufriedenheit auf Kundenseite in neue Sphären.

Aggression auf Anbieterseite

Ergänzend dazu berichtet das Handelsblatt vom Verhalten der Anbieter und zitiert, dass Microsoft sich „wie ein Elefant im Porzellanladen“ benehme. Demnach solle der Softwareriese seine Konditionen teils „brutal“ umsetzen. Ein solches Benehmen sei aufgrund der Marktmacht und geschäftskritischen Abhängigkeit möglich.

Unabhängig von der Wahl der zitierten Begrifflichkeiten ist die Abhängigkeit in Europa in der Tat in höchstem Maße problematisch. Das hat die zuvor aufgezeigte Entwicklung noch einmal verschärft. Nicht ohne Grund rief die Europäische Union Initiativen für digitale Souveränität in Europa aus und unterstützt hierzu europäische Cloud-Alternativen. Die Notwendigkeit, auch die Geschäftspraktiken der marktbeherrschenden Anbieter genau zu beobachten und diesen Grenzen zu setzen, ist unbestreitbar. Die EU ist hier seit Jahren aktiv und versucht dem Treiben mit Bußgeldern Einhalt zu gebieten. Auf die Entwicklung und die teilweise auch von Kunden getroffenen Fehlentscheidungen kann aber nicht allein staatlich reagiert werden.

Rückkehr zur Eigenverantwortlichkeit

Vor dem Hintergrund der Umstände und Erkenntnisse aus den Umfragen gilt es auch, das Verhalten und die IT-Strategien in Unternehmen kritischer zu beleuchten. Dabei holt sie die Vielzahl der Krisen jetzt mit voller Wucht ein. Denn die steigenden Abo-Kosten summieren sich – etwa auch mit gestiegenen Energiekosten.

Jetzt die volle Verantwortung auf die Hersteller zu schieben, erscheint dennoch überzogen. Denn bei aller berechtigten Kritik an den Geschäftspraktiken der großen Software-Entwickler wird allzu häufig verkannt, dass die Risiken oftmals schon lange offensichtlich waren. Dennoch wurde – meist ohne Not – der Umstieg hin zu diversen Clouds/Abos vorgenommen. Außer Acht blieben dabei wenigstens flankierende Maßnahmen und Vorkehrungen wie Sondervereinbarungen, Exit- und Fallback-Szenarien und Datenschutz-Risiken. Aussagen von IT-Entscheidern, dass ihnen jetzt Kosten und Kontrolle vollends entgleiten, sind also auch hausgemacht.

Selbst grundlegende kaufmännische Lehren wurden im Trend hin zu Cloud und Abo vergessen. Stattdessen überließen es Organisationen teils den Fachbereichen, ihre vermeintlichen Bedarfe selbst zu decken. Die erste kaufmännische Pflicht, eine genaue Kalkulation von Kosten und Nutzen anzustellen, geriet ins Hintertreffen. Wer hat denn einmal genau die Kosten einer Kauf-Office-Version, mittels deren der Kunde „Eigentum“ hieran erwirbt, dem Abo gegenübergestellt und eigene betriebswirtschaftliche Berechnungen einschließlich Risikobewertungen angestellt, anstatt die Werbeaussagen der Hersteller zu übernehmen?

Dabei kann der Nutzen zwischen Abo und On-Premises in Form von Word, Outlook und Co. identisch sein. Zusätzlich ist bei den Kauf-Versionen auch noch die Möglichkeit des An- und Verkaufs „gebrauchter“ Software (Remarketing) zu berücksichtigen.

Präzision statt Proklamation

Statt IT-Strategien wie „Cloud First“ oder „Cloud Only“ auszurufen, die sich keiner zu hinterfragen traut, bedarf es gerade in Krisenzeiten eines präzisen Verständnisses des eigenen Bedarfs und der Lösungen, diesen zu decken – nebst jeweiligen Kosten-Nutzen-Betrachtungen. Dabei geht es nicht darum, gegen Cloud- oder Abo-Modelle zu wettern, sondern sich die Tragweite der Wahl zu vergegenwärtigen.

Hierbei muss zunächst einmal genau geprüft werden, wie sich die benötigten Leistungen einordnen lassen und welche Bedingungen hierfür gelten. Nach Einordnung der konkreten Leistung gilt es Alternativen zu prüfen. Denn nach wie vor erscheinen auch von Microsoft kontinuierlich neue On-Premises-Versionen, obwohl das Ende der On-Premise-Lizenzen so häufig gemutmaßt wurde.

Es ist aber auch grundverkehrt, von der Endgültigkeit der jetzigen Wahlmöglichkeiten auszugehen. Vielmehr wird es nach den Abo- und Cloud-Trends weitere Entwicklungen geben, die heute noch gar nicht absehbar sind. Die mitunter gedachte Zwangsläufigkeit und Endgültigkeit von Cloud und Abo verkennen die Dynamik in diesem Kontext vollkommen.

Demgemäß erklärte selbst Microsoft zugunsten hybrider Modelle erst kürzlich weitere Zugeständnisse zu machen, um damit Kunden erweiterte Möglichkeiten zu bieten, eigene Lizenzen auch in der Cloud anderer Anbieter zu nutzen (Bring-your-own-License). Ganz freiwillig geschieht das aber mutmaßlich nicht. Denn zwischen den großen Cloud-Infrastrukturanbietern um AWS und Microsoft als Anbieter mit Paketen aus Cloud und Anwendungssoftware ist längst ein erbitterter Konkurrenzkampf nicht-europäischer Konzerne um die Verteilung der europäischen Marktanteile ausgebrochen. Der Kunde und dessen Bedürfnisse werden oft nur fadenscheinig vorgeschoben.

Daher bleiben Unternehmen dazu berufen, ihre Interessen selbst zu finden. Dazu kann zählen, die weitere Entwicklung der rechtlichen Rahmenbedingungen in Europa und technische Bedarfe abzuwarten und sich zugleich an die eigenen Kompetenzen zu erinnern. Das bedeutet, genau nachzurechnen, Risiken wie Abhängigkeiten zu streuen und vermeintliche Trends zu hinterfragen. Auch Versuche von Software-Herstellern wie Microsoft, die Grenzen zwischen Perpetual-Lizenzen (On-Premises) und Abos aufzuweichen, sind kritisch zu bedenken. Insofern wird mit Software Assurance schon länger versucht, bestimmte Rechte nicht mehr dauerhaft zu gewähren, sondern unter den Vorbehalt der Fortführung dieses Abos zu stellen.

Die richtigen Konsequenzen ziehen

Diese komplexe Situation stellt Unternehmen zweifellos vor Herausforderungen. Das darf aber keinesfalls dazu führen, dass kaufmännische Grundfertigkeiten wie Risk-Management und die Steuerung von Kernprozessen etwa in der der IT vollends in Vergessenheit geraten. Auch Schuldzuweisungen helfen nicht. Vielmehr sind Unternehmen mehr denn je gefordert, Vorkehrungen zu treffen und rechtlich gesicherte Möglichkeiten zugunsten von Planungssicherheit auszukosten. Gerade die starken Fliehkräfte im Cloud-Markt, die hier aktuell zugange sind, gebieten Unternehmen, Zurückhaltung walten zu lassen.

Folglich rekapituliert Andreas E. Thyen, Wirtschaftswissenschaftler und Verwaltungsratspräsident der LizenzDirekt AG, seine bewährte Einschätzung: „Ein gesunder Mix aus bewährten On-Premises-Softwarelizenzen und bedarfsgerechten integrativen Cloud-Services bewahren die Investments von Unternehmen und bieten die heute geforderte Dynamik. Für On-Premises-Lizenzen („Perpetual“) spricht das vom Kunden erworbene „Eigentum“, das er in eigenen IT-Strukturen bis hin zu wechselnder Cloud-Infrastruktur oftmals flexibel einsetzen kann. Bei Bedarf lassen sich diese Lizenzen gebraucht verkaufen, aber auch ebenso kostengünstig nacherwerben.“

Dieser Markt ist die absolute Ausnahme, ein europäisches Juwel, da er die Machtstrukturen der großen Softwareanbieter aufbricht und Kunden ihre europäischen Eigentumsrechte und Grundfreiheiten an der Software bewahrt. Auf diese europäischen Grundwerte leichtfertig zugunsten von Abo-Modellen zu verzichten, wenngleich es weiterhin aktuelle On-Premises-Versionen gibt, erscheint oftmals unreflektiert.

Eine schablonenartige Verwendung globaler IT-Mainstream-Lösungen wird ganz sicher nicht den individuellen Anforderungen innovativer, unabhängiger und in gesundem Maße risikoaversen Unternehmen Europas gerecht. Schon gar nicht führen diese Standard-Abo-Lösungen zu den versprochenen Wettbewerbsvorteilen. CEOs und CFOs stehen daher mehr denn je in der Verpflichtung, Chancen und Risiken ihrer Gesamt-IT neu einzuordnen, zu bewerten und intelligente, unternehmensspezifische IT-Strategien zu entwickeln.

Quelle: LizenzDirekt

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