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Die neuen Chefs: Lieber leben als wichtig sein

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Lange vorbei ist die alte Direktorenherrlichkeit. Was Führung heute allzu oft bedeutet, titelte gerade erst das Wirtschaftsmagazin brand eins auf dem Cover seiner März-Ausgabe: „Scheißjob.“ Fast noch deutlicher wurde der Leitartikel: „Heute herrscht in diesen Höhen [der Führungspyramide, Anm. d. Verf.] aber längst Sauerstoffmangel und Schnappatmung, eine geistige Todeszone, in der es keine kreative Führung mehr gibt.“ Spitzenkräfte erschöpfen sich in „Bürokratie, Routine, Leerzeiten und sinnlosen Sitzungen“. Das mittlere Management wird zwischen den Anforderungen von oben und unten zerrieben. Kein Wunder, dass da eine deutliche Mehrheit einen grundlegenden Wandel fordert – oder für sich bereits realisiert.

Von der Todes- in die Wohlfühlzone

Der 55-jährige Geschäftsführer von Goldmann Sachs geht in Babypause. Der kaum jüngere CEO der Großwerbeagentur Leo Burnett hängt seinen Beruf an den Nagel und widmet sich dem Erhalt des Lebensraums von Eisbären. Beim renommierten Haufe-Verlag verabschiedet sich die Führungsspitze von durchgängigen Ordnungsprinzipien und agiert multioptional, wie es die Bereiche und Töchter eben gerade erfordern. Bei einem Start-up für Reisekosten-Rückerstattungen pendelt die Gründerin halbjährlich zwischen Berlin und Kalifornien und arbeitet meistens vom Home Office aus. Und beim Musikstreaming-Anbieter Spotify gibt es Teams und Coaches, während der Chef und Gründer vor allem eins tut – sich rauszuhalten.

Keine Frage, die 60- bis 70-Stunden-Woche hat heute für viele Führungskräfte ihren Statusappeal verloren – trotz in der Regel angemessener Entlohnung. Doch sind solche Ausreißer nicht einfach Einzelfälle, die für die große Mehrheit der Betroffenen keine Bedeutung haben? Aufhorchen lässt die Studie „Gute Führung“, die das Bundesministerium für Arbeit und Soziales im September 2014 veröffentlichte. 400 befragte Führungskräfte aller Stufen sind mehrheitlich für einen Systemwandel bzw. erwarten ihn in nächster Zukunft: weg von Hierarchien und starren Strukturen, hin zu einer demokratischen, netzartig organisierten Arbeitsweise.

Abgeben, ohne aufzuhören

Der Wunsch eines Lebens nach dem Feierabend ist also in den Chefetagen angekommen – vermehrt übrigens durch weibliche Führungskräfte, die weniger als männliche Kollegen geneigt sind, die alten Wichtigkeitsspiele („Ich bin gestern mal wieder als letzter gegangen. Seht ihr, wie ich mich für die Firma aufopfere!“) mitzumachen. Selbst wenn echte Aussteiger auf Sicht eine Minderheit bleiben: Auch für die an Bord muss sich gründlich etwas ändern. Unternehmen sollten für ihr Spitzenpersonal Strukturen bieten, die sinnhaftes Arbeiten und eine Form der Work-Life-Balance zulassen. Die ist heute eine der elementaren Grundlagen für die Chancen eines Arbeitgebers, interessante Kräfte einzustellen oder zu halten, wie z. B. die Studie „Work-Life-Balance und Arbeitgeberattraktivität“ der Essener FOM Hochschule für Oekonomie & Management Anfang 2014 nachwies.

Gleichzeitig sollten Unternehmen sich nicht scheuen, geeignete Hilfen zu nutzen, um den wachsenden Druck für Führungskräfte zu mildern. So ist im mittleren Management der Bedarf an Seminaren und Coachings besonders hoch. Hier finden sich oft Spezialisten, die zwar ihr Fachgebiet in- und auswendig beherrschen, doch nur mangelhaft oder gar nicht auf die eigentlichen Führungsaufgaben vorbereitet sind. Auch zur Motivation der Mitarbeiter sollten Führungskräfte mehr zur Verfügung haben als einen warmen Händedruck. Ideal dazu sind Instrumente, die zu der selbstbestimmten und -verantworteten Arbeitshaltung in einem demokratisch organisierten Arbeitssystem passen. Anstelle von Einheitsprämien wären dies z. B. Schecks mit flexibel wählbarer Einlösbarkeit für Mittagessen, Einkäufe oder Fahrtkosten.

Bei aller Selbst- und Mitbestimmung werden Chefs jedoch auch in Zukunft nicht überflüssig. Die Kommunikationsagentur Ministry Group hat es versucht: Es gab keine Geschäftsleitung mehr, nur noch Teams und einige Koordinatoren. Doch bald zeigte sich, dass viele Mitarbeiter sich ein Mindestmaß an Orientierungshilfe wünschten. Heute gibt es wieder Teamleiter, und die Geschäftsführung sorgt als „Serviceteam“ fürs Controlling, die nötige Manpower in den Teams und eine Vorauswahl von Bewerbern für freie Stellen.

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