Steigende Arbeitslosigkeit und Fachkräftemangel: Ein scheinbarer Widerspruch, der keiner ist
Zum Jahreswechsel 2024/2025 wartet Deutschland auf eine neue Regierung und bessere wirtschaftliche Zeiten. Doch eine schnelle konjunkturelle Besserung ist nicht in Sicht. Noch schlimmer: Die lange verschwunden geglaubte Arbeitslosigkeit ist wieder zurück. Auch der gravierende Fachkräftemangel vermag daran nichts zu ändern.
Der Jahreswechsel ist stets der Zeitpunkt und Anlass, neue und bessere Vorsätze zu treffen. Bezogen auf die Bundesrepublik und ihre wirtschaftspolitische Führung könnte das aktuell nur bedeuten: eine Rückkehr zu positiven Wachstumszahlen nach zwei Jahren des Schrumpfens. Doch eine schnelle Abkehr von der Rezession ist auch für 2025 nicht zu erwarten. Die diversen Wirtschaftsforschungsinstitute machen da auch wenig Hoffnung.
Konjunkturprognose für 2025: von Mini-Mager-Plus bis drittes Rezessionsjahr
Das Konjunkturteam des Handelsblatt Research Institute (HRI) hat seine Konjunkturerwartungen für Deutschland bereits im Herbst 2024 gesenkt. Anders als die meisten anderen Institute erwartet des HRI sogar, dass die Wirtschaftsleistung nach dem Rückgang im Jahr 2023 auch 2024 und 2025 jeweils um 0,3 Prozent sinken wird. Drei Minus-Jahre in Folge hat es in der deutschen Nachkriegsgeschichte noch nicht gegeben.
„Ein erneuter Rückgang der wirtschaftlichen Gesamtleistung würde zwangsläufig auch zu weniger Steuereinnahmen als bislang erwartet führen. Selbst wenn die Regierung vor der Bundestagswahl mit einem Konjunkturprogramm beim Wähler punkten wollte, fehlte ihr schlichtweg das Geld dazu“, sagte Handelsblatt-Chefökonom Bert Rürup, der früher Regierungsberater war und auch dem exklusiven Kreis der fünf „Wirtschaftsweisen“ angehörte. Dieser Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung ist für das kommende Jahr nur leicht optimistischer als sein ehemalige Mitglied Rürup und sagt für die deutsche Volkswirtschaft 2025 ein Miniplus von real 0,4 Prozent voraus.
Die Arbeitslosigkeit ist zurück auf der Negativ-Bühne
Hohe Kosten, politische Unordnung und viele Unsicherheiten: Die deutsche Wirtschaft kommt 2025 nicht aus der Krise, meinen auch die renommierten Konjunkturexperten vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln. Sie erwarten ein mickriges Plus von 0,1 Prozent beim Bruttoinlandsprodukt. Noch problematischer aus IW-Sicht: „Auch die Arbeitslosigkeit dürfte weiter steigen.“ Prognose der rheinischen Ökonomen: Bei einer Arbeitslosenquote von 6,2 Prozent wird es 2025 schon fast drei Millionen Arbeitslose geben.
„Das ist schon lange keine konjunkturelle Verstimmung mehr, sondern eine schwerwiegende Strukturkrise“, sagt IW-Konjunkturchef Michael Grömling. Tobias Dietze, HR-Experte und Geschäftsführer der DIEPA GmbH mit Hauptsitz in Magdeburg, teilt diese Sicht. Sein Unternehmen vermittelt Voll- und Teilzeitkräfte sowie zeitlich begrenzte Mitarbeitende: „Der erwartete Anstieg der Arbeitslosenzahlen im kommenden Jahr lässt sich auf mehrere Faktoren zurückführen: Die deutsche Wirtschaft befindet sich weiterhin in einer Schwächephase mit nur geringem Wachstum. Strukturelle Herausforderungen wie Digitalisierung, Dekarbonisierung und der demografische Wandel erhöhen den Anpassungsdruck auf Unternehmen.“
Besonders betroffen von der wieder steigenden Erwerbslosigkeit sind Unternehmen und Menschen in Ostdeutschland. Tobias Dietze: „Thüringen verzeichnet den höchsten relativen Anstieg der Arbeitslosenzahlen um fünf Prozent sowie den stärksten Rückgang der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung um 0,6 Prozent. Mecklenburg-Vorpommern folgt mit einem Anstieg der Arbeitslosenquote auf 8,2 Prozent, während Sachsen einen Zuwachs um 3,6 Prozent bei den Arbeitslosenzahlen erwartet. Auch Bayern ist mit einem ähnlichen Anstieg der Arbeitslosenzahlen und einer Quote von 3,8 Prozent betroffen. Insgesamt zeigt sich, dass Ostdeutschland mit einem Anstieg der Arbeitslosenquote auf 7,6 Prozent stärker belastet wird als Westdeutschland.“
Fachkräftemangel schließt Arbeitslosigkeit nicht aus
Wer in den vergangenen Wochen, Monaten und Jahren allein die Überschriften der Wirtschaftsmedien verfolgt hat, dürfte sich spätestens jetzt ungläubig die Augen reiben. Wie kann das sein mit der wieder steigenden Arbeitslosigkeit, wenn zugleich in immer mehr Branchen und Berufen Fachkräfte rar und händeringend gesucht werden? Kurze, wenn auch ernüchternde Antwort: Es passt, leider. Die Qualifikationen vieler Arbeitsloser, aber auch der Menschen, die aktuell bei Volkswagen, Thyssenkrupp, Ford oder BASF ihre sicher geglaubten Jobs verlieren, selten zu den Anforderungen offener Jobs etwa in Pflegeheimen, an Schulen, in Kitas oder hinter den Lenkrädern von Bussen im öffentlichen Personennahverkehr.
Für Tobias Dietze ist es daher dringend Zeit zum Handeln: „Wir befinden uns in einer Spirale, die nur mit Mut und Fingerspitzengefühl durchbrochen werden kann. Ein Anstieg der Arbeitslosenquote könnte die wirtschaftliche Lage in Deutschland auf mehreren Ebenen belasten. Zum einen wird der private Konsum gedämpft, da Arbeitslose weniger Geld zur Verfügung haben, was die Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen verringert. Dies kann Unternehmen dazu zwingen, ihre Produktion weiter zu reduzieren, was das ohnehin schwache Wirtschaftswachstum zusätzlich bremst. Gleichzeitig steigen die staatlichen Ausgaben für Sozialleistungen wie Arbeitslosengeld, während die Steuereinnahmen sinken – eine Belastung für die öffentlichen Finanzen, die möglicherweise zu höheren Haushaltsdefiziten führt und dringend nötige Investitionen in die deutsche Infrastruktur hemmt.“
Die „Mismatches“ sind zum Glück kein ehernes Gesetz. Es lässt sich etwas dagegen tun. Wichtige Stellschrauben sind Qualifizierung sowie die Flexibilisierung des Arbeitsmarkts.
Tobias Dietze: „Ein zentraler Ansatz ist die Förderung von Qualifikationsprogrammen, um die Diskrepanz zwischen den Qualifikationen der Arbeitssuchenden und den Anforderungen offener Stellen zu verringern.“ Gleichzeitig müssen nach seinen Worten die Einstiegshürden für qualifizierte Fachkräfte aus dem Ausland gesenkt werden, etwa durch vereinfachte Anerkennungsverfahren und bessere Sprachförderung.
Zudem muss der Arbeitsmarkt nach seinen Worten wesentlich flexibler werden – etwa durch die Aufhebung von Beschränkungen in der Zeitarbeit, wie dem Wegfall der Höchstüberlassungsdauer und Einschränkungen beim Einsatz von Fachkräften aus Drittstaaten.