HighTex auf der Überholspur
Vorfahrt für technische Textilien in der Autobranche
Berlin. Neue textilbasierte Materialien jenseits bloßer Innenraumverkleidungen, Gurte und Sitzbezüge begeistern als universelle Werkstoffe die Konstrukteure von Fahrzeugen, Flugzeugen und Maschinen gleichermaßen. Hightech-Textilien sind stabil und vor allem leicht – besondere Eleganz oder andere Eigenschaften nach Kundenwunsch. Nicht nur das Forschungskuratorium Textil e.V. (www.textilforschung.de) und die angeschlossenen 15 deutschen Textilforschungsinstitute wissen, dass textilbasierten Werkstoffen viel Zukunft gehört – quer durch fast alle Branchen.
Technische Textilien: Sie fahren immer mit, gewinnen trotz ihrer geringen Masse stetig an Gewicht. Ihr Anteil pro PKW beträgt derzeit gut 20 kg. Im prognostizierten „automobilen Wohnraum der Zukunft“ sollen es im Jahr 2015 bereits 30 kg sein. Textilien im Auto müssen hinsichtlich Langlebigkeit, Schmutzresistenz oder geringer Entflammbarkeit qualitativ hochwertig sein. Abgesehen von Sicherheitsgurten und Airbags haben die heute eingesetzten Fasermaterialien vor allem Oberflächenfunktionen. Das wird sich mit „Smarten Textilien“, einer neuen technologischen Entwicklungsstufe, bald ändern: Sie werden aus Sicht von Textilforschern wie Automobilexperten für eine Miniaturisierung bestehender konstruktiver Elemente sorgen, wenn nicht gar für deren „Dematerialisierung“.
Gewebe mit Sensoren, Garne mit Leuchtkraft
Was da auf den Automobilbau zukommt, ist vom Thema her spannend, verblüfft Fachleute wie Laien und ist vor allem effizient. Von Wissenschaftlern u. a. in Greiz (Thüringen), Aachen und Dresden z u n ä c h s t vor allem für die Bekleidungsindustrie entwickelt, werden in Textilien integrierte Stromleitungen, Heizung, Licht, aber auch Sensoren und Schalter in naher Zukunft den Fahrzeugbau revolutionieren. Renommierte Textilforschungsinstitute, mittelständische Unternehmen und führende Autohersteller wie Audi, Daimler oder VW forschen und arbeiten bereits gemeinsam am „textilen“ Automobil-Interieur der Zukunft.
In SeatSen etwa, einem Verbundprojekt u. a. mit AUDI, realisieren die Textilforscher vom TITV Greiz ein „textilintegriertes MST-Sensor-System zur Erkennung von Sitzbelegung und Sitzposition in Kraftfahrzeugen“. Der mikrosystemtechnische Lösungsansatz besteht aus textilen Schaltungsträgern, auf die mikroelektronische Bauelemente mittels einer speziellen Aufbau- und Verbindungstechnik aufgebracht sind. Sie sollen im Betrieb robust und zuverlässig und z. B. in die Polsterung integrierbar sein. Vorläufiges Ziel ist die Fertigung von Musteranwendungen.
Herstellungsverfahren wie Weben, Sticken, Nähen, Wirken, Stricken oder Beschichten werden für die Integration neuer Funktionen in Textilien genutzt: für textile Sensoren, Aktuatoren, Solarzellen, selbstleuchtende Flächen oder spezielle Heizsysteme, berichtet Dr. Uwe Möhring, Geschäftsführender Direktor des TITV Greiz. „Diese Funktionalisierung wird Impulse auch für Neuentwicklungen in der Automobilindustrie geben.“ Eingang finden die TITV-Arbeiten im Automotive-Bereich auch in das Verbundforschungsprojekt INSITEX, an dem sich u. a. Daimler und ein Fraunhofer-Institut aus Berlin beteiligen: Hier untersucht man die „Nutzung Intelligenter Technischer Textilien in Kraftfahrzeugen zur Erhöhung der aktiven Insassensicherheit“.
Gewebtes gegen den Sekundenschlaf
Beispiel Sekundenschlaf: Ein Phänomen, das der Deutschen Verkehrswacht zufolge für 25 Prozent aller Verkehrsunfälle verantwortlich ist. Eine ideale Lösung des Problems bietet die Anwendung Intelligenter Technischer Textilien: Kleinstkomponenten z. B. im Sitz, in Gurt, Lenkrad oder Himmel sollen verschiedene Signale und Parameter des Fahrers (EKG, Kopfposition, Atmung, Hauttemperatur) erfassen, die Aufschluss über Müdigkeitszustand, Belastung oder Stress geben. An einem „Demonstrator“ des intelligenten Fahrzeuginnenraums mit prototypisch implementierten Anwendungen wird derzeit bei der Daimler AG gearbeitet.
Ein ganz anderes Beispiel für den zunehmenden Einfluss technischer Textilien auf die Motorisierung treiben Wissenschaftler der TU Dresden und der RWTH Aachen gemeinsam voran: die Entwicklung integraler Motorhauben auf Basis innovativer 3D-Textilstrukturen. Die Idee dazu liegt mit Blick auf die Unfallstatistiken praktisch auf der Hand. Passive Schutzmaßnahmen (15 Prozent aller Unfalltoten in Europa und 35 Prozent in Japan sind Fußgänger) konzentrieren sich insbesondere auf die Motorhaube als häufigste Verletzungszone bei Kollisionen zwischen Fahrzeug und Passanten.
3D-Textilien als Aufprallschutz
Am Ende der Entwicklung stehen integrale Motorhauben, die einstellbare Dämpfungseigenschaften mit einer integrierten Schall- und Wärmedämmung verbinden sollen. In Laborversuchen haben sich dabei 3D-Gewirke und -Flachgestricke, Mehrlagentextilien sowie textilverstärkte thermoplastische Verbundwerkstoffe als besonders geeignet für die notwendige Aufpralldämpfung erwiesen. In einer thermischen bzw. kunststofftechnischen Nachbehandlung erfolgt der „letzte Schliff“ der textilen Spacer – die Einstellung der Drucksteifigkeit sowie die Integration von Schäumen, Vliesstoffen und Dämpfungsgelen. Die Leistungsfähigkeit dieser textilen Funktionsträger soll anhand mehrerer praxisnaher Modell-Motorhauben schon bald nachgewiesen werden.
Ganz vorn „dabei“ sind moderne Faserverbundwerkstoffe übrigens auch, wenn es um die Reduzierung des Fahrzeuggewichtes geht. Verstärkungstextilien aus Hochleistungsgarnen – (Textilglas, Kohlenstoff, Aramid oder HD-PE) können als Halbzeuge für die Produktion von Karosserie- und Versteifungsteilen, Stoßfängern, Blatt- und Spiralfedern beim Bau energiesparender und umweltverträglicher Automobile einen wertvollen Beitrag leisten.
Mikrosystemtechnik auch in Autositzen
Doch bei aller Innovationsstärke der „HighTex“-Materialien: „Was der Branche noch fehlt, ist die wirklich große Applikation, die für jeden einzelnen sichtbar ist“, resümiert Dr. Klaus Jansen, Geschäftsführer des Forschungskuratoriums Textil e. V., das die Interessen der gesamten deutschen Textil-und Modeindustrie und der mit ihr verbundenen Branchen im Bereich Entwicklung und Transfer bündelt. „Für Automobiltextilien wird mit einer jährlichen Umsatzsteigerung von 5-10 Prozent gerechnet“, so Jansen. Integrierte Mikrosystemtechnik in Autositzen beispielsweise würde pro Jahr einen Bedarf für ca. 600.000 neue Sitze erzeugen, für besseren Sitzkomfort wie Beheizung und aktive Belegungserkennung würde der Markt nach Erkenntnissen des FKT sogar ca. 3,4 Mio. Sitzplätze jährlich umfassen. Mit Hilfe von Smart Textiles seien wirkungsvolle Einbruchsicherungen in Cabrioletverdecken realisierbar, und textilintegrierte Beleuchtungs- und Bedienelemente könnten in nahezu jeden PKWs eingebaut werden.
Die vieljährigen Entwicklungszyklen in der Automobilindustrie erfordern jedoch einen langen Atem. Der abzusehende textile Technologieschub dürfte HighTex-Innovationen, egal ob gewirkt, gestrickt oder geflochten, dennoch schon bald in die Schlagzeilen rücken und Neuwagenkäufer begeistern.